eugenijus ališanka identitätskrise interpretation

February 16, 2021

Am liebsten sei ihm ein Platz etwas abseits der militärischen Hierarchie, in der Schreibstube etwa: kondolenzbrieft schreiben für soldatenmütter gesundheitszeugnisse ausstellen. Seine Gedichte sind eine freundliche Ermunterung zu Versuch und Irrtum, zum „Unfesten“ als Lebensform. Ich sehe es so: Während der Autor in seinen vorangegangenen Gedichtbänden stadt aus asche und gottes gebein, beide in den neunziger Jahren entstanden, zuweilen etwas angestrengt auf der Suche zu sein schien, manch Dunkel-Hermetisches findet sich dort, lässt sich der Grundgestus dessen, was wir hier vor uns haben, am besten mit dem angelsächsischen relaxed umschreiben. Im Rückblick sagt er: Vor Jahren war Lyrik für mich fast ein Zweig der Metaphysik, während mich das Leben selbst nur insofern interessierte, als es ,Spiritualität‘ enthielt. Aber gemeint ist wohl etwas anderes. Daß Europa für Ališanka vor allem eine tabula rasa ist, auf der die Reiche und Mächte mit Blut die Spuren ihrer Herrschaft eingezeichnet haben, wird aus seiner Biographie verständlich. Seine Wissbegierde stillt er seither, „schon ganz europäer“, als ein Odysseus der Strassen und Worte. Jan Wagner: Europas trübe Wasser lyrikkritik.de. Und Intellekt? Meinen Namen, E-Mail und Website in diesem Browser speichern, bis ich wieder kommentiere. „Barbaren“ ist ein wiederkehrendes Signalwort und die rauchzeichen, die sie hinterlassen. Seit 2003 gibt er die Vilnius Review heraus, die zeitgenössische litauische Literat Eugenijus Ališanka: Eugenijus Ališanka, 1960 in Barnaul/Sibirien geboren, lebt in Vilnius. Fiktionales und Faktisches, Wirkliches und Mögliches sind hier kunstvoll ausbalanciert und miteinander verwoben. Bekenntnishaftes, Autobiographisches findet sich hier auch, wie überhaupt die ungeschriebenen geschichten auskunftsfreudiger, persönlicher wirken als die vorangegangenen Gedichtbände. Im Nachwort des Bandes schreibt die Übersetzerin Claudia Sinnig deshalb folgerichtig: „Seine Gedichte sind eine freundliche Ermunterung zu Versuch und Irrtum, zum ,Unfesten‘ als Lebensform.“ Vielleicht ist es gerade dies, was mich (neben seinem liebvollen Gemecker) an einen Abiturienten erinnert: Den Kopf voll mit Wissen, das Leben in der Theorie vor sich, die Praxis wartet, hier einfach mit dem Unterschied, dass Ališanka aus der Schule „Litauen“ auf das Leben „Europa“ blickt. Den lyrischen Blick auf dieser Reise durch die europäische Gegenwart von allem Ideologischen freizuhalten, das bildet den Ausgangspunkt für Ališankas Poetologie: „automatisch laienhaft“ knipst der Dichter „mit der grauen pupille“, mit der „idiotenkamera“ die europäischen Wirklichkeiten. Denkfiguren dieser Art, eingebettet in die Schilderung banal-alltäglicher Verrichtungen, sind Teil der spielerischen Ironie, die uns hier durchgängig begegnet. Stattdessen begibt sich Ališanka auf die Reise. Das Scheitern der europäischen Verfassung gilt als Scheitern der europäischen Idee, die Wirtschafts- und Währungsunion belastet den Arbeitsmarkt. Der Terminus Postmodernismus, wiewohl inflationär verwendet, um mittlerweise alles und jedes auf diesen Nenner zu bringen, hier ist er nicht zu umgehen. Bis dieses Ich schließlich heimkehrt nach Vilnius. Wir erfahren, dass der Autor aus einer Gegend kommt, wo einst tamerlans pferd die erde düngte. Auch das litauische Lesevolk sortiert die Autoren noch immer gerne in solche, die „zu uns gehören“ und andere, denen man eher distanziert gegenübersteht. − Eugenijus Ališankas Gedichte kommen so behende, so leichtfüßig daher, daß man meinen könnte, sie seien vielleicht allzu unbekümmert und möglicherweise von leichtherzigem oder gar leichtfertigem Charakter. Das hat nichts Anbiedernd-Kumpelhaftes und schon gar nichts Eitles, im Gegenteil ist hinter dem lockeren, lakonischen Plauderton die Ernsthaftigkeit poetologischer Auseinandersetzung zu spüren. Diesen Eindruck scheint auch das von jeher einfache Erscheinungsbild seiner Lyrik zu bekräftigen: Ališankas ungereimtes, umgangssprachliches Parlando ist durchgängig klei… Weder Theoreme noch Definitionen kommen ihm bei. −. Jeder Exportkaufmann und jede Stewardeß bewirken wohl mehr für die Begegnung fremder Kulturen als ein Schriftsteller, ein Lyriker zumal, dessen Wirkung meist an der Sprachgrenze endet. In der Übersetzung finden sich auch einige weniger glückliche Formulierungen, doch im Grunde gelingt es ihr, Texte zu kreieren, denen der Drive, die vorwärtsdrängende Dynamik des Originals eigen ist und die bei all den komplexen syntaktischen Bezügen eine musikalische Leichtigkeit haben, der man sich lesend gern überlässt. In dem 2010 in der Edition Thanhäuser publizierten Essayband Baltische Adria, verfasst von Ališanka und dem slowenischen Autor Ales Debeljak, wird die Biografie selbst zum Thema. Sobald in Litauen von Ališankas Lyrik die Rede ist, fehlt selten das Epitheton „intellektuell“ (zuweilen fällt auch das Wort „elitär“), ohne dass näher ausgeführt wird, was man darunter zu verstehen hat. Dabei ist es Ališanka wichtig, „keinerlei illusionen“ aufkommen zu lassen. So hat ihn das Werk des Polen Zbigniew Herbert beeinflusst, den er übersetzte und der ihn inspirierte, wohl auch auf der Suche nach einer tragfähigen poetischen Konzeption. Im Sommer 2000 durchquerte ein Zug ganz Europa in West-Ost- und Süd-Nord-Richtung, von Lissabon via Madrid, Paris, Brüssel, Hannover, Königsberg, durch das Baltikum bis Sankt Petersburg und dann über Moskau und Warschau nach Berlin. – Eugenijus Ališankas poetische Expedition. Entstehung und Thematik. Es beschreibt ein Spiel, das nur funktioniert, wenn der Spieler keine willentlichen Anstrengungen unternimmt. Bereits in dem Band gottes knochen nimmt das überforderte lyrische Subjekt die Züge eines Sonderlings an: „gottes sonderbare kreaturen / immer sonderbarer lebst du, immer näher.“ Diese Figur begegnet uns in exemplum recht häufig – so in Gestalt des (heiligen) Narren oder des glücklosen Ritters zum Beispiel in „kasimir-markt“ und „aus der geschichte des rittertums“, aber auch als mißratener Sohn in dem Gedicht „formular für eine erklärung“, der seinem Vater schließlich erklärt: „recht hast du vater doch ich habe unrechter“. Wenn man Ališanka Lyrik „intellektuell“ nennen will, ist der Einwand angebracht, ob hier dem „Großprojekt Geist“, auf das sich der Homo sapiens so viel zugute hält, nicht eine ironische Abfuhr erteilt wird. Schon in den 2002 im Original erschienenen ungeschriebenen geschichten hatte Ališanka gewundene Pfade des Zufälligen und Beiläufigen freigelegt oder gebahnt – Pfade, die die kollektive Geschichte und die individuellen Lebenswege kreuzen und durchkreuzen. Nicht weniger schwer wiegt die ebenfalls in Litauen gelegentlich anklingende Vermutung, der Erfolg des Dichters im Ausland sei auf die vermeintliche Anspruchslosigkeit seiner Gedichte, wenn nicht auf marktorientiertes Kalkül zurückzuführen. Doch während Ališanka in diesen Geschichten dem fragmentarisch flüchtigen, exzentrisch unvollkommenen Bilder- und Gedankenstrom lustvoll – er selbst sagt „dionysisch“ – freien Lauf ließ und ihn nur behutsam bändigte, erkundet er in exemplum vornehmlich die Voraussetzungen und Umstände, unter denen Identität entsteht oder erschaffen wird. Geschichte, das ist, was „die anderen“ mit einem veranstalten, vor dem man sich allenfalls seitwärts in die Büsche schlagen kann. Wir ergänzen und was wählen Sie? Darin finden sich die berühmten Zeilen: Ich zünde mir eine Zigarette an, während ich über diese Verse nachdenke, Und genieße die Zigarette als Befreiung von meinen Gedanken. Vorzivilisatorisches, Antizivilisatorisches scheint auf und wird lustvoll zelebriert. Dieser Autor nutzt seit jeher ein Arsenal kultureller Reminiszenzen, auch das verbindet ihn mit Venclova. Er weiß, dass der bis vor kurzem unentbehrlichen nationalen Identität heute erneut der Boden entzogen wird, dass Dichter und Dichtung durch das überzogene Marktdenken als „geschädigte“ aus der Globalisierung entlassen werden, dass man heute „weniger über sich mehr über geld“ nachdenkt. Hierin unterscheidet sich Ališanka von seinem älteren Dichterkollegen Tomas Venclova, für den die Architektur von Vilnius seit der Kindheit zeichenhaft ist; sie spricht zu ihm aus der Vergangenheit und spielt deshalb auch als Gegenstand seiner poetischen Metaphysik von Anfang an eine entscheidende Rolle in Venclovas Schaffen. Die hier versammelten und ins Deutsche übertragenen Gedichte erschienen 2006 im Original. Aber auch hier hat schon im Schilf Pan mit seiner Flöte Platz genommen, der, als Abgesandter des Weingottes Dionysos, so etwas wie die unorthodoxe göttliche Inspirationsquelle vieler, mitunter auch sehr konkret um Forderungen der Triebe kreisender Gedichte ist: ganz nordeuropa würde ich hingeben für ein wüstes gelage im hotel rossija. Während diese Lyriker sich zur Maxime der klassischen Moderne bekennen, der Schriftsteller sei das Werkzeug der Sprache und nicht umgekehrt, hat Ališanka schon in einem 1993 publizierten Essay sein Unbehagen an einer Poetik ausgedrückt, in der „der Dichter der Sprache unterworfen ist [und] die Sprache mit sich selbst spricht“; Dichter und Worte nur als „Medien für jenseitige Welten“ dienen: Hier wird eine der Bedeutungen des Dichters als Opfer sichtbar – der Dichter bringt sich selbst zum Opfer, er ist ein Schwarzes Loch, das in andere Welten und zugleich zu völliger Vernichtung führt. Oder er schreibt Gedichte, letzte metaphysische Tätigkeit in einer entgötterten Welt. Eugenijus wollte die Welt nicht mehr in zwei Hälften teilen, in eine physikalische und eine spirituelle. Andererseits wird das, was da als Eugenijus fungiert, auch wieder weggerückt von der Person des Autors und in spöttisch-ironischer Distanz gehalten. Kafkaeske Konfigurationen. Ein ruhelos Reisender, a poet on the road, durchmißt er die Räume des neuen Europas, auf den Spuren seiner politischen und kulturellen Topographie. Texte: Bosse: Kamikazeherz (2005), Eugenijus Ališanka: identitätskrise (2005), Friederike Mayröcker: Der Aufruf (1974), Julia Engelmann: One Day (2013), Christoph W. Bauer: fremd bin ich eingezogen unter meine haut (2009), Robert Gernhardt: Noch einmal: Mein Körper (1987), Annette von Droste-Hülshoff: Das Spiegelbild (1844) Wohl auch in New York und sonst wo. Zum anderen hat die sowjetische Zensur bis zur Wiederherstellung des unabhängigen Staates vor zwei Jahrzehnten dafür gesorgt, dass Gedichte interessanter waren als Romane und natürlich aufregender als die gleichgeschaltete Presse, weil man in eine Verszeile Andeutungen einschmuggeln konnte, die im Klartext nie durchgegangen wären. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden. Nun spielt sich das Leben ab unter veränderten Rahmenbedingungen – für Ališanka Anlass, diese Bedingungen zu erkunden, den Stand der Dinge zu ermitteln, seine Ästhetik und seine Rolle als Dichter zu überdenken. Viele verschiedene Töne und Sprechhaltungen sind diesen Gedichten eigen, Denken und Schauen gehen eine produktive Verbindung ein, und Ironie ist ihnen nicht fremd. Traditionalisten werfen Ališanka vor, sich zu weit von etwas entfernt zu haben, was sie „das Litauische“ nennen. Es versteht sich, dass die Poetengeneration, der Ališanka angehört, nicht mehr jenem im Grunde tragisch-pathetischen Grundmuster poetischer Selbstverständigung folgen kann und will. Ališanka ist 1960 im sibirischen Bernaul geboren, wohin seine Großeltern während der sowjetischen Okkupation deportiert worden waren, und im Vilnius der 1960er-Jahre aufgewachsen, wo er Mathematik studierte. Hier ist das Ich ein Zusammensetzspiel aus Torsi, Accessoires und Schaufenstergegenständen, eine gleichsam zufällige Assemblage. Das positive Echo, das er bisher in Deutschland hatte, ebenso in Polen oder Skandinavien, kann kein Zufall sein und hat wohl damit zu tun. Das Reservoir an Formen und Ausdrucksmitteln, über das dieser Autor gebietet, scheint jedenfalls so individuell-authentisch, wie es in einem komplexen Sinne universal ist. Doch diese vom Existentialismus und fernöstlichen Religionen geprägte Hinwendung zum Transzendenten war für die litauische Lyrik der siebziger und achtziger Jahre geradezu typisch. Die Erfahrung der sowjetischen Herrschaft hat sich dem in Vilnius aufgewachsenen Schriftsteller und Übersetzer tief eingeprägt: wohlan hier beginnen die weiten, die unermeßlichen räume wo selbst der tod außer reichweite des todes ist wie passen sie in einen mandelstamreim wohl nicht ganz. Im zweiten Stück verwandelt sich das lyrische Ich, mit Don Quixote Jerez trinkend, in einen Stier, der auf seinem Rücken ein spanisches Mädchen „ans Kurische Haff“ entführt: die tochter eines toreros mutter meiner verse volk um volk wird sie gebären mein blut in den venen der weichsel und der memel fließen. Rahmenbedingungen der fachlichen Arbeit 1.1 Lage der Schule Das St.-Ursula-Gymnasium liegt auf dem Berg über der Stadt der Hansastadt Attendorn. Ein litauischer Spätsommer zwischen Volksbräuchen, Kartoffelernte und Sommerfrischen wird hier beschworen; Alltagsbeobachtungen kreuzen sich mit Selbsterforschungen; amouröser Kummer läßt die etwas träge, melancholische Ferienidylle freilich bis in Todesgedanken umschlagen. So wie Volksmusik und ambitionierte zeitgenössische Kompositionen in Litauen ein größeres Nahverhältnis haben als das im deutschen Sprachraum vorstellbar ist, war auch die Lyrik länger der liedhaften Tradition verpflichtet. Die ungeschriebenen geschichten, 2002 in Vilnius erschienen und hier erstmals vollständig dem deutschen Leser zugänglich gemacht, haben jedenfalls sogleich Beachtung gefunden. exemplum heisst sein – von Claudia Sinnig souverän übersetzter – zweiter Gedichtband auf Deutsch, dessen reimlose Verse Titel tragen wie: „fast ein weltuntergang“, „geschichte der gotteslästerungen“, „billigtarif“, „am anfang war kein wort“, „C3“, „lego“, „via negationis“ oder „never never“. Noch in der späten Stalinzeit konnte man für ein Gedicht mit subversivem Inhalt zehn Jahre hinter Gitter kommen. Mehrere Gedichte des Bandes zeigen den Reisenden in Greenwich, Venedig oder Berlin. Texte: Bosse: Kamikazeherz (2005), Eugenijus Ališanka: identitätskrise (2005), Friederike Mayröcker: Der Aufruf (1974), Julia Engelmann: One Day (2013), Christoph W. Bauer: fremd bin ich eingezogen unter meine haut (2009), Robert Gernhardt: Noch einmal: Mein Körper (1987), Annette von Droste-Hülshoff: Das Spiegelbild (1844) Vielleicht sind solche Rückzugsbewegungen der notwendige kontemplative Gegenpol zu der am Ende wieder stärker betonten Welthaltigkeit und Geselligkeit, die mit Dante und Homer am Cafétisch über alte Zeiten schwätzt und einen Hang zum Exzeß nicht verbergen kann. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Ein eher leiser Humor kommt hinzu. mein blut im tiegel wenn ich es überm gas erhitze wird es flink wie quecksilber sieh da schon regnet es jenseits des meeres ab und hängt als nebel am alpenolymp wenn ich salz des lebens hineinstreue flocken gedruckte wörter aus elektronen die in den schläfen stechen laß ich das fenster offen über nacht ist es am morgen schwarz erwärme ichs im herd mit brandrückständen und unleserlichen texten aus kaffeesatz vermische es mit deinem blut und warte zwanzig minuten dann sieht es aus wie alter wein das nenne ich nicht wissenschaft schon gar nicht kunst ich experimentiere ergo sum, − Der litauische Dichter Eugenijus Ališanka. Bei Europa denkt man derzeit sofort an Krise. Das Gedicht „zur ökologischen frage“ vermeldet, dass einst unzugängliche Bergregionen abschmelzen, jene kant-hegel-leninmassive. This website uses cookies to improve your experience while you navigate through the website. Mit der auf den ersten Blick geringfügigen Akzentverschiebung vom Erfundenen zum Erfinden, vom strikt Partikularen und Singulären zum Verallgemeinerten, Exemplarischen setzt sich eine umfassendere Bewegung in Ališankas Schaffen fort, die weit über das ironische Spiel mit verschiedenen Selbstbildern hinausgeht. Der litauische Dichter Eugenijus Ališanka, ebenfalls Literaturexpreßreisender, hat seine Reiseeindrücke in einem Zyklus „aus zuggeschichten“ verarbeitet: „josé saramagos worten zufolge haben die portugiesen erfahrung im erobern neuer territorien“ ist das erste Gedicht überschrieben, und darin imaginiert sich der Dichter als „nachfahre von barbaren mit langen vom / wind zerzausten haaren europa erobernd“. So wirken diese neueren Gedichte trotz der bewußt herbeigeführten Haltlosigkeit konturierter, ruhiger, entschiedener. Tauwetter. In der Demokratie hat die Prosa die Lyrik überflügelt – an Auflagenzahlen wie an erreichter Aufmerksamkeit. Doch Poesiefestivals sind noch immer ein fester Bestandteil des Kulturlebens, und Gedichtbände haben (bei 3,5 Millionen Einwohnern!) Der Geburtsort Ališankas, das sibirische Barnaul, ist da beredt genug. Wie Zbigniew Herbert, den Ališanka ins Litauische übersetzt hat und dem er als Autor viel verdankt, hält sein lyrisches, Rollen spielendes Subjekt Zwiesprache mit Dichtern und Philosophen: Epikur und Empedokles, Dante und Proust, Miłosz und Barthes. Das Exemplarische besteht in der jeweiligen Versuchsanordnung und im fortgesetzten Versuchen: „ich experimentiere ergo sum“. Die Literaturkritiker konstatierten eine neue Qualität, innerhalb des Œuvres des Autors, aber auch in der litauischen Gegenwartslyrik insgesamt. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Aber dem Kasimir-Markt von Vilnius widmet er ebenso selbstverständlich ein Gedicht. Dieses Motiv hat er im nächsten, 1999 erschienenen Band dievakaulis (gottes knochen) entfaltet, dessen ohnmächtiges, unzulängliches Subjekt – oft der Dichter selbst – durch eine unbegreifliche, gottverlassene Welt irrt: ich hab vergessen, welche stadt die erste war wo frauen ein gebet auf händen trugen und männer die namen des todes bewahrten zu spät aus gottes körper rieselt schnee ich lauf im straßengraben schlucke wind und mein vergessen wird vollkommen. Obwohl, wie man hier nicht müde wird zu betonen, französische Geographen den Mittelpunkt Europas unweit von Vilnius ermittelt haben! – Nie Satan fassen! Der studierte Mathematiker, der 1960 im sibirischen Barnaul als Kind einer Familie litauischer Deportierter geboren wurde, hatte in seiner Jugend Lyrik zu schreiben begonnen, weil er im spätsowjetischen Litauen einen Ausweg suchte aus der „versteinerten, absurden Situation“, einen Ausweg, den er sich vom Spirituellen versprach. Das spiegelt sich auch in der Literatur. In seinen bisher sechs Lyrikbänden finden sich von Anfang an freirhythmische und reimlose Gedichte ohne feste Strophenformen. In jüngerer Zeit bemühe ich mich um die Details ,dieser Welt‘, ihre Widerspenstigkeit, Konkretheit und Umgangssprache sind heute wichtiger für mich […] Es ist wirklich kaum zu glauben, daß ich Kunst und Leben so lang trennen konnte. Heute bezeichnet er sein von „geistigen Vätern“ wie Rilke, Celan und Trakl angeregtes Frühwerk als „ziemlich autistisch“. Diesen Blick praktiziert Ališanka nicht zuletzt auf seinen ausgedehnten, weltweiten Reisen. Ališanka wurde als „poet on the road“ bezeichnet, er ist ein intensiv Reisender, der Europas Hauptstädte ebenso kennt wie entlegene Gegenden. Eugenijus Ališanka – Poetisch musikalische Lesung mit Saulius Petreikis am 17.5.2012. beginnt sein Petersburg-Gedicht, das sarkastisch „fenster nach europa“ überschrieben ist. Um zu sehen, ob sie standhalten. Das Interessante an dem Gedicht ist die Verbindung von Identitätskrise mit der Flucht in das einfache Leben. Die ungeschriebenen geschichten, 2002 in Vilnius erschienen und hier erstmals vollständig dem deutschen Leser zugänglich gemacht, haben jedenfalls sogleich Beachtung gefunden. Eine etwas verwirrende Situation, mit der sich trefflich jonglieren lässt. wie viele jahre hast du auf dem buckel eugenijus und auf einmal kommt dir verstand abhanden und irrt als gespenst durch europa. Dichter als völkerverbindende Zugbegleiter, als Boten zwischen den Kulturen – eine schöne, leider ganz unrealistische Vorstellung. Ein Stimmungslyriker ist Ališanka nicht, vielmehr ein präziser Vermesser eigener Widersprüche und der Paradoxien der Welt, der – nicht ohne Witz, Ironie und Melancholie – an allen Gewissheiten rüttelt. Seine kulturellen Reminiszenzen von der Antike bis zu Nietzsche oder Roland Barthes sind nie aufdringlich, sondern eingeschmolzen in Bildern und sinnlichen Wahrnehmungen, und sie blitzen in den oft interpunktionslosen Satzgefügen mit ihren syntaktischen Mehrfachbezügen nur kurz zwischen anderen Wortgruppen auf. Schon hier deutet sich eine hin und wieder ins Leere laufende oder mißlingende Transzendenzbewegung an: „wir lauschen / doch niemand / erwacht / von unsern gedanken“. Diese Gedichte verweisen nicht auf sich selbst, sondern öffnen den Blick für die Wirklichkeit, die sich in ihnen verfangen hat. Dieses Gedicht findet sich im dritten, stärker ans Poetologisch-Eingemachte gehenden Teil. Völkerwanderungen, einfallende Nomadenstämme, zusammenbrechende Imperien – Alisankas Kontinent hat nichts mit der idealistisch-gemütlichen Sonntagsrede vom „Haus Europa“ gemeinsam. In dem mit einem Abstand von fünf Jahren nun endlich auf Deutsch erschienenen Band exemplum stecken sehr viele Realitätspartikel, und schon ein Blick auf die Gedichttitel zeigt Berlin, Wiepersdorf oder Venedig. Das Lyrikhaus Joachimsthal stellt 4 Fragen. dieselben Auflagen wie im deutschen Sprachraum. Der Band ist in vier Teile gegliedert; den exoterischen, weit in Geographie und Geschichte ausgreifenden „zuggeschichten“ geht eine Sammlung von Texten voran, die man Heimatgedichte nennen könnte. Und wichtiger als die litauische Poesie war für ihn wohl die internationale, die er gut kennt, denn er hat aus dem Polnischen und Englischen übersetzt und viele Jahre das litauische Festival Frühling der Poesie organisiert, zu dem er Poeten aus zahlreichen Ländern eingeladen hat. Das metaphorische Inventar ist vielgestaltig, es reicht von der griechisch-römischen Antike bis nach Tschernobyl und den schneefeldern der kolahalbinsel, einst Teil des Archipels Gulag, wo der Vater des Poeten, vom „Vater der Völker“ nach Sibirien verbannt, seine Jugend verbrachte. Ich stöbere in den Überresten meiner Kindheit, zerstöre eine Maske, setze mir eine neue auf, schaue in den Spiegel und in die Welt. Mit diesem Band nun ist ein europäischer Dichter ersten Ranges auch in Deutschland zu entdecken. Das Interessante an dem Gedicht ist die Verbindung von Identitätskrise mit der Flucht in das einfache Leben. – Stasiphasen. Seither ist sein Schaffen von jener fast trügerischen Einfachheit, Klarheit und Beweglichkeit, die ihm in der Heimat den erwähnten Vorwurf der Stillosigkeit und Trivialität einträgt. –. In zwölf Gedichten geht sie von Lissabon über Paris und Brüssel bis St. Petersburg und Moskau. Natürlich sind die hier angedeuteten Frontstellungen längst nicht mehr so ausgeprägt, ich spitze bewusst zu. Eine veränderte Sichtweise auf viele Dinge und Erscheinungen ist längst im Gange. Was sind gute Gedichte? Wenn du die Website weiter nutzt, gehen wir von deinem Einverständnis aus. Biografische Fakten haben lange keinen Eingang in seine Poesie gefunden – ihm schwebte das Gedicht als Kristall vor, gereinigt von konkreten Orten, Ereignissen oder Namen. Die Chiffren und Symbole kennen längst keine Ländergrenzen mehr. Ich erzähle Geschichten meines und nicht nur meines Lebens, die manchmal erfunden sind, obwohl was einmal erdacht ist, ja bereits existiert. […] Vielleicht läßt sich ja so eine Verbindung herstellen zwischen dem Anfang und dem Ende der Geschichte, die Verbindung zwischen meinem Schreiben und meiner Kindheit in Sibirien. Es war, als hätte man auf diesen Band gewartet. Seine reimlose, prosodische Lyrik kommt erzählerisch, oftmals auch recht ironisch daher: wenn etwa Odysseus ins heutige „nichtraucher-europa“ heimkehrt. Übrigens: Eine Möglichkeit, Gedichte auf ihre Substanz und Qualität hin zu testen, besteht darin, immer wieder und von allen Seiten gegen sie anzulesen. Zeigen ihn am Wannsee in Zwiesprache mit Kleist und den Dämonen der Nazi-Zeit („senkrechter rauch aus dem schornstein / senkrechte steine / hölzerne charly-kreuze und wannsee-kalmus / der see zählt die fische / vor der schliessung im winter / … / auch ich mache knocheninventur?“) oder in Wiepersdorf vor „leeren wachtürmen“ und „stacheldrahtzäunen zum schutz von seltenen arischen gewächsen“. Tradition ist ihm kein Fremdwort, obwohl er literarische Vorbilder vor allem außerhalb des Landes fand. ): Budapester Szenen, Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden, Christa Melchinger: Zu Claude Vigées Gedicht „Winterweiden“, Harald Hartung: Zu Christoph Meckels Gedicht „Es war der Atem im Schnee“, Paul Michael Lützeler: Zu Hermann Brochs Gedicht „Diejenigen, die im kalten Schweiß“, #tuerlesung 0.08 – Richard Pietraß: Hundewiese, Klausur & Amok, Felix Philipp Ingold: Nachruf Pierre Chappuis, Erstes Wiener Heimorgelorchester und Ror Wolf: Das nordamerikanische Herumliegen, BRODSKY …FERNGESPRÄCHE verfilmt in 9 Kapiteln | Kapitel 1: San Pietro, Anderthalb Zimmer in Leningrad: Ein Museum für Joseph Brodsky, Rainer Malkowski – Frühes Notat | Pega Mund : driftout, Hans Magnus Enzensbergers Gedicht „Minimalprogramm“, Eva Hesse: Zu Ezra Pounds Gedicht „Cantos VII“. Vielleicht, so schreibt er in einem der Vorworte des Magazins, liegt das Potenzial Europas sowohl in der Vielfalt als auch im Austausch seiner Kulturen, vielleicht kommt es darauf an, Europäer zu werden und trotzdem Litauer zu bleiben. Sie hebt an mit einem Gruß an Fernando Pessoa: beide schweigen wir über dasselbe dein anfang des jahrhunderts mein ende. Was mit scheinbarer Leichtigkeit daherkommt, erweist sich denn auch als überaus vielschichtig, bringt Existentielles zur Sprache. So etwas ruft hier den Widerstand der Traditionalisten auf den Plan, die diesem Autor so etwas wie Fahnenflucht vorwerfen vor dem, was sie „das Litauische“ nennen. Denn freilich stellt sich schnell heraus, dass auch den litauischen Autor jene „identitätskrise“ plagt, die sich überall in Europa eingestellt hat, seit die berüchtigten „Großen Erzählungen“ abhanden gekommen und die ideologischen Raster erschöpft sind: nach vierzig jahren am rand des imperiums hier vor dem spiegel im hotel schaffe ich nicht mehr zu beenden was ich begonnen habe. Auf der vertikalen Ebene kommt Historie ins Blickfeld, als Anspielung, Zitat, Montage, es verleiht den Gedichten dieses Bandes eine zusätzliche Tiefendimension. Im argwöhnisch auf Eigenständigkeit bedachten Litauen, wo die Europäische Union nicht selten mit der Sowjetunion gleichgesetzt wird, geht das Gespenst der „Eurolyrik“ um, die unter Verzicht auf Metaphern, Seele und Musik mühelos in alle Sprachen übertragbar sei.

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